Nächtliche Freizeitaktivitäten im Naherholungswald (NAF)
Juli 2024
Zusammenfassung
Seit Jahren machen die Menschen in der Schweiz in ihrer Freizeit immer mehr Sport. Spazieren und Wandern ist nach wie vor sehr beliebt, an Bedeutung gewonnen haben die Sportarten Mountainbiking und Trailrunning. Während diese Entwicklung aus Sicht der Gesundheitsförderung positiv ist, birgt sie für das Forstmanagement Herausforderungen. Freizeitaktivitäten haben das Potenzial, Wildtiere in ihrem tageszeitlichen Rhythmus wesentlich zu stören, insbesondere, wenn sie in den traditionell «ruhigen» Randzeiten des Tages durchgeführt werden oder in offenen Gebieten (z. B. Waldränder, Lichtungen), wo Wildtiere häufig ihre Nahrung aufnehmen.
«Alltagssport» (das heisst der Sport während den Werktagen) wird häufig nach der Arbeit, also abends, betrieben. Weil in den letzten Jahren die Nutzungszahlen im Outdoorbereich grundsätzlich angestiegen sind, ist davon auszugehen, dass auch die Freizeitaktivitäten während der Dämmerung und bei Nacht in den Schweizer Wäldern zugenommen haben, insbesondere in stadtnahen Wäldern. Verlässliche Daten zu dieser These gibt es allerdings kaum. Die Auswirkungen auf das Waldökosystem bleiben weitgehend unbekannt. Mit dieser Studie wird ein Beitrag für ein besseres Verständnis der Freizeitnutzung in stadtnahen Wäldern während der Dämmerung und der Nacht geleistet.
In dieser Studie über ein Kalenderjahr wurden in ausgewählten Naherholungswäldern der Deutsch- und Westschweiz im Jahr 2023 mittels 23 automatischen Zählgeräten die Besuchszahlen erhoben. Zudem wurden Besuchende von Wäldern befragt und sechs Experteninterviews abgehalten. Die Experten, die sich beruflich oder jagdlich oft in den Untersuchungsgebieten aufhalten, verfügten über Hintergrundwissen zu der Situation in Bezug auf die Besuchenden und die Wildtiere. Strava, eine Plattform und App zur Aufzeichnung sportlicher Aktivitäten, lieferte zusätzlich Crowdsourced-Daten, welche die vor Ort erhobenen Daten ergänzten. Dies ermöglichte es, Zähldaten von einigen automatischen Zählstellen auf die Untersuchungsgebiete zu extrapolieren, anstatt sich nur auf ausgewählte Wege zu fokussieren. Gestützt auf den Besuchszahlen und den Motivationen eines Waldbesuches während der Dunkelheit sowie den Einschätzungen der Experten wurden Empfehlungen zur naturverträglichen Freizeitnutzung in der Dämmerung und der Nacht erarbeitet.
Die Resultate dieser Studie zeigen, dass die meiste Freizeitnutzung in den Naherholungswäldern im Sommer und am Tag stattfand. Durchschnittlich wurden über alle Zählstellen pro Tag knapp 100 Passagen erfasst, wovon vier am Morgen waren, 4 am Abend und eine in der Nacht. Die Nutzungsspitzen waren oft an Wochenenden um die Mittagszeit sowie am Nachmittag. In der warmen Jahreszeit waren sie höher als im Spätherbst und Winter. Auch wenn die meiste Nutzung am Tag stattfand, nahm der Anteil während der Dämmerung und in der Nacht im Spätherbst und Winter zu; dann, wenn es morgens länger dunkel war und die Dämmerung früher einsetzt. So wurde z.B. am Standort Galgenhubel im Jurapark Aargau dokumentiert, dass gegen Ende Jahr während einigen Wochen an den Werktagen gegen drei Viertel aller Fahrradfahrenden bei Dunkelheit unterwegs waren. Dieser Standort liegt direkt an der Aare und dient als wichtige Strecke für Penderinnen und Pendler. Tendenziell wurden (breite) Waldstrassen öfters während der Dunkelheit genutzt als schmale Pfade im Wald. Auch Standorte, welche abgelegen sind, wurden im Winter und an Werktagen kaum während der dunklen Tageszeit besucht. Die oft zitierte 24-Stunden-Gesellschaft im Wald wurde nicht belegt.
Die Befragung von knapp 600 Waldnutzenden zeigte, dass etwa die Hälfte aller befragten Personen die Naherholungswälder während der Dämmerung oder in der Nacht nutzten und dies vor allem zum Spazieren und Wandern. Die meisten der Befragten nutzten den Wald während der Dämmerung oder der Nacht fast unabhängig von der Jahreszeit 1-2 mal pro Woche bis fast täglich und verbrachten im Durchschnitt 30-60 Minuten dort. Die Nutzung der Naherholungswälder und der darin ausgeführten Aktivitäten (und damit auch des zeitlichen Nutzungsmusters) scheint abhängig vom Gebietscharakter zu sein (Nähe zur Siedlung, Gebietsgrösse usw.). Im Allgemeinen gleicht das Nutzungsmuster während der Dämmerung und der Nacht demjenigen am Tag, was gerade im Winter mit der späten Morgen- respektive frühen Abenddämmerung im Zusammenhang stehen kann. In diese Richtung weisen auch die Ergebnisse über die Beweggründe, während der Dämmerung oder der Nacht in den Wald zu gehen. Dass sich eine Aktivität während der Dämmerung und der Nacht besser eignet als Tag, wurde selten angegeben, viel eher ging es den Befragten darum, die gute Luft zu geniessen oder etwas für die Gesundheit zu tun. Während andere Studien über einen Trend zur erhöhten Störungswahrnehmung der Wald-Erholung am Tag berichten, konnten wir dies in diesen Ausmassen während der Dämmerung und der Nacht nicht feststellen. Ausgelöst durch die erhöhte Störungshäufigkeit am Tag, weichen die Leute aber vielleicht eher auf die Randstunden aus, was mit ein Grund sein kann, warum rund die Hälfte der Befragten unserer Studie auch während der Dämmerung und der Nacht im Wald unterwegs war.
Die Experteninterviews lieferten ergänzende Einsichten zu den drei Untersuchungsgebieten. Obwohl das Ausmass der Besuche während der Dämmerung und der Nacht in den verschiedenen Gebieten unterschiedlich beschrieben wurde, gab es Gemeinsamkeiten. Die häufigsten Aktivitäten in der Dämmerung und Nacht waren, gemäss den Experten, Spaziergänge, Trailrunning und Mountainbiken. Die Auswirkungen auf die Wildtiere, vor allem auf Rothirsche, Rehe und bodenbrütende Vögel sind gemäss den Experten gross. Mountainbikende und Joggerinnen mit Lampen, insbesondere auf illegalen Trails, würden die Tiere stören und verhindern, dass sie sich an die Aktivitäten gewöhnen können. Dies beeinträchtige auch die Hauptäsungszeit der Wildtiere. Bezüglich möglicher Massnahmen wurden verschiedene Strategien von den Experten vorgeschlagen, insbesondere die vermehrte Kontrolle und Ahndung oder Aufklärung. Bei der Durchsetzung von Ahndungen, beispielsweise für die Nutzung illegaler Biketrails oder dem Abweichen von offiziellen Wegen, stellten die Experten jedoch fest, dass dies aufgrund des allgemeinen Waldbegehrechts in der Schweiz schwierig sein könnte. Aufklärung könnte eine Alternative sein, zum Beispiel durch Plakate, die die Besuchenden über den Einfluss ihres Verhaltens auf die Wildtiere informieren.
Obwohl die dokumentierte Nutzung der untersuchten Naherholungswälder während der Dämmerung und der Nacht relativ gering war, kann das eine überproportionale negative Auswirkung auf Wildtiere haben. Verschiedene Wildtiere, darunter Rehe, sind während den Dämmerungszeiten besonders aktiv. Global lässt sich beobachten, dass Wildtiere ihre Aktivitätsrythmen aufgrund von menschlichen (Freizeit)-Aktivitäten vermehrt in die dunkle Tageszeit legen. Diese Zeiträume waren traditionell ruhig und für Wildtiere ziemlich ungestört. Wenn nun die menschliche Nutzung während der Dunkelheit zunimmt, kann dies dazu führen, dass Wildtiere während dieser traditionell «störungsarmen» Zeit ebenfalls beeinträchtigt werden. So kann es sein, dass Wildtiere ihr Verhalten weiter anpassen und / oder ein gutes Habitat verlieren. Sie verfügen somit über weniger Ressourcen, was schliesslich ihren Fortpflanzungserfolg vermindert und ganze Populationen nachhaltig schädigen kann.
Aufgrund der hier zusammengetragenen Erkenntnisse zu der Nutzung von Naherholungswäldern in der Dämmerung und in der Nacht und den wissenschaftlichen Grundlagen zu den möglichen Auswirkungen auf Wildtiere, ist es entscheidend, dass störungsarme Gebiete sowohl räumlich (abgelegene, schwer zugängliche Wälder) als auch zeitlich (in der Dämmerung und der Nacht) erhalten bleiben. Eine zielgerichtete Besucherlenkung, welche positive Erlebnisse ermöglicht und negative Auswirkungen abseits von Wegen und in der dunklen Tageszeit reduziert, könnte hier einen wertvollen Beitrag leisten.
Die Erkenntnisse dieser Studie sollten in einem nächsten Schritt zusammen mit lokalen Akteurinnen und Akteuren, insbesondere Försterinnen und Förstern, besprochen werden. Zusammen können Konflikte lokalisiert und, dank den hier gezeigten Daten und Lösungsansätzen, entschärft oder sogar behoben werden.
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Wie liest sich dieser Bericht?
Dieser umfassende Bericht dokumentiert die Erkenntnisse der 23 automatischen Zählstellen in den 6 untersuchten Gebieten, die Befragungen und die Experteninterviews. Nicht alle Ergebnisse mögen für alle Leserinnen und Leser gleich relevant sein.
Deshalb sind die Ergebnisse nach den Untersuchungsgebieten aufgeschlüsselt. ⟶ Klick im Inhaltsverzeichnis links auf «Resultate Zählung» und dann auf das gewünschte Gebiet. Ebenso möglich bei «Resultate Experteninterviews». Insofern können die relevanten Informationen gezielt gesucht und gelesen werden, so dass nicht der gesamte Bericht durchforstet werden muss.
Zuvor sind im Abschnitt Übersicht die Hintergründe, die Ziele dieser Untersuchung und vor allem die Untersuchungsgebiete beschrieben.
Im Abschnitt Methodenübersicht sind Hintergrundinformationen aufgeführt, welche dem interessierten Leser, der interessierten Leserin näher bringen, wie wir genau vorgegangen sind.
Der Abschnitt Erkenntnisse zeigt dann alle Ergebnisse zusammengefasst. Sie werden mit Erkenntnissen aus der wissenschaftlichen Literatur in Verbindung gesetzt. Konkrete Massnahmen zur Lenkung der Besuchenden und zur Reduktion der Störung der Wildtiere werden daraus abgeleitet.
Impressum
Auftraggeber
Bundesamt für Umwelt (BAFU), Abt. Wald, CH-3003 Bern Das BAFU ist ein Amt des Eidg. Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).
Kanton Aargau Departement Bau, Verkehr und Umwelt Abt. Wald, Sektion Walderhaltung, CH- 5001 Aarau
Kanton Fribourg Amt für Wald und Natur, Sektion Fauna, Jagd und Fischerei CH-1762 Givisiez
Auftragnehmer
Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen (IUNR), Forschungsgruppe Umweltplanung
Autoren
Adrian Hochreutener, Jonathan Blank, Benjamin Bar-Gera, Martin Wyttenbach
Begleitung durch
- BAFU: Jean-Laurent Pfund
- Kanton Aargau: Maurus Landolt
- Kanton Fribourg: Andreas Binz
Wenn sie diese Studie zitieren, verwenden Sie bitte folgende Angabe:
Hochreutener, A., Blank, J., Bar-Gera, B., Wyttenbach, M. (2024). Nächtliche Freizeitaktivitäten im Naherholungswald (NAF). Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Projektbericht.
Kontakt
adrian.hochreutener@zhaw.ch
Hinweis
Diese Studie / dieser Bericht wurde im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) und des Kantons Aargau verfasst. Für den Inhalt ist allein der Auftragnehmer verantwortlich.
Copyright © 2024
Glossar
Begriff | Beschreibung |
---|---|
Automatische Zählgeräte | Auch: «Zählgeräte». Geräte zur Erfassung von Passagen direkt vor Ort, meist an einer Wegstelle. Dabei stehen unterschiedliche Technologien zur Verfügung; sie sind aber alle letztlich «Bewegungsmelder», welche z.T. zwischen Personen zu Fuss und Mountainbikes unterscheiden können. |
Fahrradfahrende | Einige automatische Zählgeräte konnten Fahrradfahrende separat erfassen. Je nach Zählgerät geschah dies über eine Induktionsschleife, welche das leitende Metall der Räder erfasste oder über eine optische Erkennung. Eine Unterscheidung zwischen Mountainbike und «gewöhnlichem Fahrrad» war im Rahmen dieser Studie nicht möglich. |
Passagen | Anzahl von Passagen / Bewegungen an einer Zählstelle, auf einem Wegabschnitt usw. |
Personen zu Fuss | Im Rahmen dieser Studie erfassten einige automatische Zählgeräte alle Personen zu Fuss in einer Kategorie. In diese Kategorie fielen z.B. Spaziergänger, Wandernde, Joggerinnen, Trailrunner aber auch Personen, welche Hunde ausführten. In dieser Kategorie wurden allenfalls auch Hunde oder Wildtiere erfasst, falls sie über 80 cm gross waren. |
Strava | Plattform und App zur Aufzeichnung von sportlichen Aktivitäten, wie Laufen / Jogging und Mountainbiking, usw. Die aufgezeichneten Daten werden aggregiert und stehen Planer:innen flächendeckend für alle Wege, welche auf der OpenStreet-Map erfasst sind, zur Verfügung. Dabei können die Anzahl Besuchenden als auch die Anzahl aufgezeichneter Aktivitäten bezogen werden. |
Tageszeiten | Die 24 Stunden eines Tages wurden folgend eingeteilt (siehe auch Einteilung der Tageszeit für Abbildungen dazu). Morgendämmerung: Ende der Nacht bis zum Zeitpunkt an dem die Sonne 6 Grad über dem Horizont steht und es hell ist. Tag: Zeit zwischen dem Ende der Morgendämmerung und dem Start der Abenddämmerung. Abenddämmerung: Zeit zwischen dem Beginn der abendlichen goldenen Stunde und dem Zeitpunkt, an dem es dunkel genug für astronomische Beobachtungen ist. Nacht: Zeit zwischen Ende Abenddämmerung und Beginn Morgendämmerung. |
Werktage | Montag bis Freitag |
Wochenendtage | Samstag und Sonntag |