Skalarprodukträume. Hilberträume

3.4. Skalarprodukträume. Hilberträume#

Das aus der linearen Algebra bekannte Skalarprodukt lässt sich auch auf unendlich-dimensionale Räume übertragen. Wir definieren ganz allgemein

Definition 3.19 (Skalarprodukt, Skalarproduktraum)

Unter einem Skalarproduktraum versteht man einen linearen Raum \(V\) über \(\mathbb{K}\), in dem ein Skalarprodukt \((x,y)\) mit folgenden Eigenschaften definiert ist: Für beliebige \(x,y,z \in V\) und \(\alpha\in\mathbb{K}\) ist

\[(\cdot, \cdot) : V \times V \to \mathbb{K}\]

und es gilt

(3.4)#\[\begin{split}\begin{split} (x,x) & \ge 0, \quad (x,x) = 0\ \Leftrightarrow\ x=0\\ (x,y) & = \overline{(y,x)}\\ (\alpha x, y) & = \alpha (x,y)\\ (x+y,z) & = (x,z) + (y,z). \end{split}\end{split}\]

Beispielsweise lässt sich auf \(V=C[a,b]\) Menge der reellwertigen stetigen Funktionen auf dem Intervall \([a,b]\) durch

(3.5)#\[(x,y) := \int_a^b x(t)\,y(t) dt\quad x,y \in V\]

ein Skalarprodukt definieren.

Aufgabe

Weise die Eigenschaften (3.4) für das Skalarprodukt (3.5) nach.

Theorem 3.6

Es sei \(V\) ein Skalarproduktraum. Für beliebige \(x,y,z\in V\) und \(\alpha \in \mathbb{K}\) gilt

\[\begin{split}\begin{split}(x, \alpha y) & = \overline{\alpha} (x,y)\\ (x, y+z) & = (x,y) + (x,z)\end{split}\end{split}\]

Proof. Selber durchführen.

Theorem 3.7 (induzierte Norm)

In jedem Skalarproduktraum \(V\) lässt sich durch

\[\|x\| := \sqrt{(x,x)}\]

eine Norm definieren. Man bezeichnet sie als die durch das Skalarprodukt \((x,y)\) induzierte Norm.

Der Beweis lässt sich einfach mit Hilfe der Schwarz’schen Ungleichung durchführen.

Theorem 3.8 (Schwarzsche Ungleichung)

Es sei \(V\) ein Skalarproduktraum. Dann gilt für alle \(x,y\in V\)

\[|(x,y)| \le \|x\|\,\|y\|.\]

Die Beweise sind dem Leser überlassen (vgl. [BWHM10] S. 43, 44).

Theorem 3.9

Sei \(V\) ein Skalarproduktraum. Ferner seien \(\{x_n\}\) und \(\{y_n\}\) Folgen aus \(V\) mit \(x_n \to x\) und \(y_n \to y\) für \(n\to\infty\), wobei die Konvergenz im Sinne der induzierten Norm zu verstehen ist. Dann gilt

\[(x_n, y_n) \to (x,y)\quad\text{für}\quad n\to\infty,\]

dh. das Skalarprodukt ist eine stetige Funktion bezüglich der Normkonvergenz.

Definition 3.20 (Hilbertraum)

Ein Skalarproduktraum \(V\), der bezüglich der durch das Skalarprodukt induzierten Norm

\[\|x\| = \sqrt{(x,x)}\quad\text{für}\ x\in V\]

vollständig ist, heisst Hilbertraum.

Beispiele:

  • \(\mathbb{R}^n\) bzw. \(\mathbb{C}^n\) sind mit den Skalarprodukte

    \[(x,y) = \sum_{k=1}^n x_k y_k\quad\text{bzw.}\quad (x,y) = \sum_{k=1}^n x_k \overline{y_k}\]

    Hilberträume.

  • \(l_2\) ist mit dem Skalarprodukt

    \[(x,y) = \sum_{k=1}^\infty x_k \overline{y_k}\]

    ein Hilbertraum.

  • \(C[a,b]\) ist bezüglich der Quadratnorm

    \[\|x\|_2 = \sqrt{(x,x)} = \left(\int_a^b |x(t)|^2 dt\right)^{1/2}\]

    kein Hilbertraum, da \((C[a,b], \|\cdot\|_2)\) nicht vollständig ist. Der Raum \(L_2[a,b]\) erweist sich als Vervollständigung dieses Raumes, welcher jedoch eine Verallgemeinerung des Riemannschen Integralbegriffs (dem Lebesgues Mass) erfordert.

Viele Eigenschaften des euklischen Raumes \(\mathbb{R}^n\), die mit dem Skalarprodukt zusammenhängen, können auf einen beliebigen Hilbertraum übertragen werden. Der Begriff der Ortohogonalität ist dabei sehr zentral.

Definition 3.21 (orthogonal)

Es sei \(V\) ein Hilbertraum.

  • Zwei Elemente \(x,y \in V\) heissen orthogonal (\(x\perp y\)), wenn

    \[(x,y) = 0\]

    gilt.

  • Zwei Teilmengen \(A,B \subset V\) heissen orthogonal (\(A\perp B\)), wenn

    \[(x,y) = 0 \quad \forall\ x\in A, y\in B\]

    gilt.

  • Sei \(M\subset V\), dann heisst

    \[M^\perp := \{y\in V | (x,y)=0\quad\forall\,x\in M\}\]

    Orthogonalraum von \(M\).

  • Sei \(V'\) ein abgeschlossener Unterraum von \(V\). \(V''\) wird orthogonales Komplement von \(V'\) genannt, wenn

    \[V''\perp V' \quad \text{und}\quad V' \oplus V'' = V\]

    gilt. Mit \(\oplus\) ist die direkte Summe bezeichnet.

Es gilt

Theorem 3.10 (Pythagoras)

Es sei \(V\) ein Hilbertraum und seien \(x,y \in V\) mit \(x\perp y\). Dann gilt

\[\|x+y\|^2 = \|x\|^2 + \|y\|^2.\]

Proof. Einfaches Nachrechnen.

Theorem 3.11

Es sei \(V\) ein Hilbertraum und \(M\) eine beliebige Teilmenge von \(V\). Dann ist der Orthogonalraum \(M^\perp\) von \(M\) ein abgeschlossener Unterraum von \(V\).

Für den Beweis sei auf [BWHM10] S. 50 verwiesen.

Wir kommen nun auf das Approximationsproblem aus Bestapproximation in metrischen Räumen zurück und können die Struktureigenschaften des Hilbertraumes nutzen:

Theorem 3.12

Es sei \(V'\) ein abgeschlossener Unterraum von \(V\) und \(x\in V\) beliebig.

  • Dann existiert genau ein \(x_0 \in V'\) mit

    \[\|x-x_0\| = \min_{x'\in V'} \|x-x'\|,\]

    dh. zu jedem \(x\in V\) gibt es genau ein bestapproximierendes Element bezüglich \(V'\).

  • Es gilt \(x_0\in V\) ist genau dann bestapproximierend an \(x\in V\), wenn

    \[(x-x_0,y) = 0\quad \forall y\in V'\]

    gilt.

Für den Fall, dass \(V'\) endlich-dimensional ist, lässt sich das bestapproximierende Element konstruieren. Es gilt

Theorem 3.13

Sei \(V'\subset V\) mit \(\dim V' < \infty\) ein Unterraum des Hilbertraumes \(V\) und sei \(x_1, \ldots, x_n\) eine Basis von \(V'\). Dann lässt sich das eindeutig bestimmte bestapproximierende Element \(x_0\in V'\) an \(x\in V\) in der Form

\[x_0 = \sum_{k=1}^n \lambda_k x_k\]

darstellen, wobei die Koeffizienten \(\lambda_1, \ldots, \lambda_n\) durch das lineare Gleichungssystem

\[(x-x_0,x_i) = 0 \quad i = 1, \ldots, n\]

und mit \(x_0\) eingesetzt

(3.6)#\[(x,x_i) - \sum_{k=1}^n \lambda_k (x_k,x_i) = 0 \quad i = 1, \ldots, n\]

gegeben sind.

Remark 3.5

Bildet \(x_k\), \(k=1,\ldots, n\) ein Orthonormalsystem

\[\begin{split}(x_i,x_k) = \delta_{i k} = \begin{cases} 0\quad \text{für}\ i\not= k\\ 1\quad \text{für}\ i = k\end{cases},\end{split}\]

so folgt aus (3.6) sofort

\[\lambda_i = (x,x_i)\quad i = 1, \ldots,n.\]

Die Koeffzienten \(\lambda_i\) nennt man auch Fourierkoeffizienten!

Wir werden zeigen, dass sich mit Hilfe des Schmidtschen Orthogonalisierungsverfahrens aus \(n\) linear unabhängigen Elementen stets ein Orthogonalsystem konstruieren lässt.

Definition 3.22 (Orthonormalsystem (ONS))

Es sei \(V\) ein Hilbertraum. Man nennt die Folge \(\{x_k\}_{k\in\mathbb{N}}\) ein (abzählbares) Orthonormalsystem (kurz ONS) von \(V\), wenn

\[\begin{split}(x_j, x_k) = \delta_{i k} = \begin{cases} 0\quad \text{für}\ i\not= k\\ 1\quad \text{für}\ i = k\end{cases}\quad \text{für alle}\ j,k\in\mathbb{N}\end{split}\]

erfüllt ist.

Beispiele

  • Im \(l_2\) bilden die Folgen \(\{1,0,0,\ldots\}\), \(\{0,1,0,\ldots\},\ldots \) ein ONS.

  • Für den (nicht vollständigen) reellen Skalarproduktraum \(C[0,2\pi]\) bilden die trigonometrischen Funktionen

    \[\frac{1}{\sqrt{2\pi}}, \frac{1}{\sqrt{\pi}} \cos t, \frac{1}{\sqrt{\pi}} \sin t, \frac{1}{\sqrt{\pi}} \cos 2t, \frac{1}{\sqrt{\pi}} \sin 2t, \ldots \]

    ein ONS.

  • Weitere Beispiele sind Hermitesche und Legendresche Polynome.

Es gilt ganz allgemein:

Theorem 3.14 (Orthogonalisierungsverfahren nach Erhard Schmidt)

Gegeben sei eine abzählbare (nicht zwingend endliche) linear unabhängige Folge \(\{y_k\} \subset V\) aus dem Hilbertraum \(V\). Dann gibt es ein ONS aus \(n\) bzw. abzählbar unendlich viele Elementen \(\{x_k\}\) so, dass der von der Folge \(\{y_k\}\) aufgespannte (abgeschlossene) Unterraum mit dem der Folge \(\{x_k\}\) aufgespannten (abgeschlossene) Unterraum übereinstimmt.

Der Beweis beruht auf der Konstruktion: sei

\[x_1 = \frac{y_1}{\|y_1\|}\]

so ist \(\mathop{span}\{y_1\} = \mathop{span}\{x_1\}\). Wir nehmen nun an, es seien bereits \(k\) orthonormierte Elemente \(x_1, \ldots, x_k\) mit \(\mathop{span}\{y_1, \ldots, y_k\} = \mathop{span}\{x_1,\ldots, x_k\}\) konstruiert. Dann setze

\[z_{k+1} = y_{k+1} - \sum_{j=1}^k (y_{k+1},x_j) x_j.\]

In dem Fall gilt \((z_{k+1},x_i) = 0\) für alle \(i = 1, \ldots, k\). Mit

\[x_{k+1} = \frac{z_{k+1}}{\|z_{k+1}\|}\]

folgt \(\mathop{span}\{y_1, \ldots, y_{k+1}\} = \mathop{span}\{x_1,\ldots, x_{k+1}\}\).

Remark 3.6

Das Verfahren wird auch in der Numerik angewandt als wichtiges Beispiel sei die Arnoldi Iteration für die Berechnung von Eigenwerten erwähnt. Ebenso kann das Verfahren für die Berechnung der QR-Zerlegung benutzt werden. Wobei zu erwähnen ist, dass die Householder-Transformation numerisch stabiler ist.

Die Elemente eines Hilbertraumes können mit Hilfe eines vollständigen Orthogonalsystems dargestellt werden. Dies gelingt mit Hilfe der verallgemeinerten Fourierreihen:

Theorem 3.15 (Fourierentwicklung)

Sei \(V\) ein Hilbertraum mit einem vollständigen ONS \(\{x_k\}_{k\in\mathbb{N}}\).

  • Dann lässt sich jedes \(x\in V\) in der Summenform

    \[x = \sum_{k=1}^\infty a_k\,x_k\quad\text{Fourierentwicklung von $x$}\]

    mit eindeutig bestimmten Koeffizienten

    \[a_k = (x,x_k)\in\mathbb{K}\]

    darstellen und die Reihe \(\sum_{k=1}^\infty |a_k|^2\) ist konvergent.

  • Umgekehrt gibt es zu jeder Zahlenfolge \(\{a_k\}_{k\in\mathbb{N}}\) in \(\mathbb{K}\), für die \(\sum_{k=1}^\infty |a_k|^2\) konvergiert, genau ein \(x\in V\) mit \(x=\sum_{k=1}^\infty a_k x_k\).

Remark 3.7

Aufgrund der Darstellung \(x = \sum_{k=1}^\infty a_k\,x_k\) nennt man ein vollständiges ONS auch eine Hilbertraumbasis.

Theorem 3.16 (Struktur von Hilberträumen)

Es sei \(V\) ein Hilbertraum und \(\{x_k\}_{k\in\mathbb{N}}\) ein (abzählbares) ONS in \(V\). Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:

  • \(V = \overline{\underset{k\in\mathbb{N}}{\bigoplus} \mathop{span}(x_k)}\).

  • Das ONS \(\{x_k\}_{k\in\mathbb{N}}\) ist abgeschlossen.

  • Für alle \(x\in V\) gilt die Parsevalsche Gleichung

    \[\sum_{k=1}^\infty |(x,x_k)|^2 = \|x\|^2\quad\text{(Vollständigkeitsrelation)}\]
  • Jedes Element \(x\in V\) besitzt die Fourierentwicklung

    \[x = \sum_{k=1}^\infty (x,x_k)\,x_k.\]