10. Existenz und Konvergenz#

10.1. Existenz einer Lösung#

Betrachten wir die Konvergenz der Methode der finiten Elemente in abstrakter Form für elliptische Probleme. Dazu definieren wir eine wichtige Eigenschaft der Bilinearform

Definition 10.1 (koerziv oder elliptisch)

Sei \(V\) ein Hilbertraum und \(A\) eine stetige Bilinearform auf \(V\). Dann heisst \(A\) koerziv, falls

(10.1)#\[\exists C > 0: \quad |A(v,v)| \ge C \|v\|_V^2\quad \forall\ v\in V.\]

Der folgende Satz von Lax-Milgram liefert uns die Existenz von Lösungen für unsere schwache Gleichung (1.4). Der Satz von Lax-Milgram basiert auf dem Darstellungssatz von Riesz, welchen wir als Abschluss im Kapitel Abschnitt 4.2 angetroffen haben.

Theorem 10.1 (Satz von Lax-Milgram)

Sei \(V\) ein Hilbertraum, \(f: V\to \mathbb{K}\) eine stetige Linearform und \(A: V\times V\to \mathbb{K}\) eine stetige Bilinearform. Zu dem sei \(A\) auf einem Teilraum \(V_0\subset V\) koerziv. Dann hat das Variationsproblem: gesucht \(u\in V_g\) so, dass

(10.2)#\[A(u,v) = f(v)\quad \forall v\in V_0\]

und \(V_g\) eine lineare Mannigfaltigkeit, gegeben durch

\[V_g = u_g + V_0 := \{u_g + v_0\,|\, v_0\in V_0\}\]

eine eindeutige Lösung.

Wir betrachten das etwas allgemeinere Problem als in der Gleichung (1.4) zugrunde liegende:

\[\begin{split}\begin{split} -\Delta u & = f(x)\quad\text{für}\ x\in \Omega\\ u(x) & = u_g(x)\quad\text{für}\ x\in \Gamma_D\\ \frac{\partial u}{\partial n}(x) & = g(x)\quad\text{für}\ x\in \Gamma_N.\end{split}\end{split}\]

Der Rand \(\partial\Omega\) des Gebietes \(\Omega\) ist gegeben durch \(\partial\Omega = \Gamma_D \cup \Gamma_N\), wobei \(\Gamma_D \not= \emptyset\). Wir lassen daher anstelle der homogenen Dirichlet Randwerte beliebige Dirichlet Randwerte auf einem nicht verschwindenden Teilrand \(\Gamma_D\) zu. Am Dirichletrand fordert man die Randbedingung \(u(x) = u_g(x)\) explizit, entsprechend erlaubt man nur Testfunktionen mit \(v(x)=0\) auf \(\Gamma_D\). Am Neumannrand wird die Randbedingung \(\frac{\partial u}{\partial n}(x) = g(x)\) eingesetzt. Testen und partiell Integrieren liefert

(10.3)#\[\int_\Omega \nabla u\cdot\nabla v\, dx - \int_{\Gamma_D} \frac{\partial u}{\partial n} \underbrace{v}_{=0}\ ds - \int_{\Gamma_N} \underbrace{\frac{\partial u}{\partial n}}_{=g} v\ ds = \int_\Omega f(x) v(x) dx\]

Wir erhalten somit das schwache Problem: finde \(u\in H^1(\Omega)\) mit \(u(x) = u_g(x)\) für \(x\in\partial\Gamma_D\) und

\[\int_\Omega \nabla u\cdot\nabla v\, dx = \int_\Omega f(x) v(x) dx + \int_{\Gamma_N} g(x) v(x)\ ds \quad \forall\ v\ \text{mit $v(x)=0$ auf $\Gamma_D$}.\]

Um den Satz von Lax-Milgram anwenden zu können, wählen wir

  • \(V = H^1(\Omega)\) mit der Norm \(\|v\|_V = \left(\|v\|_{L_2}^2 + \|\nabla v\|_{L_2}^2\right)^{1/2}\)

  • \(V_0 = \{v\in V\ |\ v=0\, \text{auf}\ \Gamma_D\}\)

  • \(V_g = \{v\in V\ |\ v=u_g\, \text{auf}\ \Gamma_D\}\)

    Für ein beliebiges \(\tilde{u}_g\in V\) mit \(\tilde{u}_g = u_g\) auf dem Rand \(\Gamma_D\) ist \(V_g = \tilde{u}_g + V_0\).

  • Linearform \(b: V\to\mathbb{R}\) gegeben durch

    \[b(v)= \int_\Omega f(x) v(x) dx + \int_{\Gamma_N} g(x) v(x) ds\]
  • Bilinearform \(A: V\times V\to\mathbb{R}\) gegeben durch

    \[A(u,v) = \int_\Omega \nabla u\cdot\nabla v\, dx.\]

Mit Hilfe des Satz von Riesz erhalten wir die Stetigkeit der Linearform. Es gilt

\[\begin{split}\begin{split}|b(v)| & = \left|(f,v)_{L_2(\Omega)} + (g,v)_{L_2(\Gamma_N)}\right|\\ & \le \|f\|_{L_2(\Omega)} \|v\|_{L_2(\Omega)} + \|g\|_{L_2(\Gamma_N)} \|v\|_{L_2(\Gamma_N)}\\ & \le \|f\|_{L_2(\Omega)} \|v\|_V + \|g\|_{L_2(\Gamma_N)} c_{tr} \|v\|_V\\ & = \left(\|f\|_{L_2(\Omega)} + \|g\|_{L_2(\Gamma_N)} c_{tr}\right)\, \|v\|_V. \end{split}\end{split}\]

In der Abschätzung haben wir die Cauchy-Schwarz Ungleichung in \(L_2(\Omega)\) und die Trace Ungleichung

\[\|v\|_{L_2(\Gamma_N)} \le c_{tr} \|v\|_V\quad \forall\,v\in V\]

des Sobolev Raum \(H^1\) angewandt. Die Stetigkeit der Bilinearform ist trivial es gilt

\[A(u,v) = \int_\Omega \nabla u\cdot \nabla v\, dx = (\nabla u, \nabla v)_{L_2} \le \|\nabla u\|_{L_2}\ \|\nabla v\|_{L_2} \le \|u\|_V\,\|v\|_V.\]

Um die Koerzivität zeigen zu können, benötigen wir die Friedrichsungleichung

\[\|v\|_{L_2(\Omega)} \le c_F \|\nabla v\|_{L_2(\Omega)}\quad \forall\,v\in V_0.\]

Hier kommt die Voraussetzung \(\Gamma_D \not= \emptyset\) ins Spiel. Mit der Friedrichsungleichung gilt

\[\|v\|_V^2 = \|v\|_{L_2}^2 + \|\nabla v\|_{L_2}^2 \le (c_F^2+1) \|\nabla v\|_{L_2}^2 = (c_F+1) A(v,v)\quad \forall\, v\in V_0,\]

also folgt für die Konstante der koerziv Bedingung (10.1) \(C=(c_F+1)^{-1}\). Damit haben wir alle Voraussetzungen des Satzes von Lax-Milgram erfüllt und es folgt eine eindeutige Lösung der Variationsformulierung der Poissongleichung (10.3) im Raum \(H^1\).

10.2. Fehlerabschätzung#

Sei \(V_h\subset V\) ein endlich-dimensionaler Teilraum gegeben zum Beispiel durch stückweise lineare stetige Funktionen. Wir setzen \(V_{0,h} = V_0 \cap V_h\) und \(V_{g,h} = V_g \cap V_h.\) Damit lautet das diskrete Problem: Gesucht ist \(u_h\in V_{g,h}\) mit

\[A(u_h,v_h) = f(v_h)\quad \forall v_h\in V_{0,h}.\]

\(V_h\) ist wieder ein Hilbertraum. Daher liefert der Satz von Lax-Milgram auch für das diskrerte Problem eine eindeutige Lösung. Da \(V_{0,h} \subset V_0\), gilt das unendlich-dimensionale Problem auch für diskrete Testfunktionen. Wir haben daher

\[\begin{split}\begin{split} A(u,v_h) & = f(v_h)\quad \forall v_h\in V_{0,h}\\ A(u_h,v_h) & = f(v_h)\quad \forall v_h\in V_{0,h}.\end{split}\end{split}\]

und entsprechend

\[A(u-u_h, v_h) = 0\quad \forall v_h\in V_{0,h}.\]

Der Fehler \(u-u_h\) ist daher \(A(\cdot,\cdot)\)-orthogonal zum diskreten Testraum \(V_{0,h}\). Dies nennt man Gallerkin-Orthogonalität.

Mit Hilfe der Korezivität, Galerkin Orthogonalität und der Stetigkeit von \(A\) folgt das Cea’s Lemma

Theorem 10.2 (Cea’s Lemma)

Sei \(A\) stetig und koerziv. Dann gilt

\[\|u-u_h\|_V \le \frac{\mu_1}{\mu_2}\,\inf_{w_h\in V_{g,h}} \|u-w_h\|_V,\]

wobei die Konstanten \(\mu_1\) aus der Koerzivitäts Bedingung, \(\mu_2\) aus der Stetigkeit der Bilinearform \(A\) ist und für die schwachen Lösungen des Variationsproblems (10.2) mit \(u\in V_0\) sowie \(u_h\in V_{0,h}\) gilt.

Damit haben wir die Konvergenzaussage, dass die FEM-Lösung bis auf den Faktor \(\frac{\mu_1}{\mu_2}\) die best-mögliche Approximation zur exakten Lösung im diskreten Raum ist.

Weitere Abschätzungen erhalten wir aus der Polynom-Interpolation mit Hilfe des Interpolationsoperators \(I_h: V \to V_h\)

\[\inf_{w_h\in V_{g,h}} \|u-w_h\|_V \le \|u-I_hu\|_V\]

und der Interpolationsfehlerabschätzung in Sobolevräumen

\[\|u- I_h u\|_{H^1} \le c\,h\,\|u\|_{H^2}.\]