8. Modellierung#
8.1. Elliptische partielle Differentialgleichungen#
8.1.1. Randbedingungen#
Sei \(\Omega \subset \mathbb{R}^d\) ein beschränktes Gebiet. Eine elliptische PDE benötigt eine Randbedingung für alle Punkte des Randes von \(\Omega\). Mögliche Randbedingungen sind
Dirichlet-Randbedingung: Bedingung an den Funktionswert
\[u(x) = u_d(x)\quad \forall x\in\Gamma_D\]Neumann-Randbedingung: Bedingung an die Normalableitung
\[\frac{\partial u}{\partial n}(x) = \nabla u\cdot n = g(x)\quad \forall x\in\Gamma_N\]Robin-Randbedingung: Gemischte Randbedingung
\[\frac{\partial u}{\partial n}(x) + \alpha\, u(x) = g(x)\quad \forall x\in\Gamma_R\]
8.1.2. Bilanzierung#
Am Beispiel der stationären Wärmeleitung in einer dünnen Platte mit konstanter Dicke modellieren wir einen stationären Diffusionsprozess. Alle Grössen seien über die Dicke konstant. Deshalb reicht es die Mittelfläche \(\Omega \subset \mathbb{R}^2\) zu betrachten. Die involvierten physikalischen Grössen sind
Für den Wärmefluss \(q\) (Vektor) nehmen wir das Fourier’sche Gesetz an
Der Energieabfluss in die Umgebung unterhalb und oberhalb der Platte sei durch ein lineares Wärmeübergangsgesetz (mit Wärmeübergngskoeffizienten \(\alpha > 0\)) beschrieben
Sein nun \(B \subset \Omega\) ein beliebiges Kontrollvolumen, dann lautet die Energiebilanz:
also
Der Satz von Gauss erlaubt uns das Randintegral in ein Volumenintegral umzuschreiben
Damit folgt
Da das Kontrollvolumen \(B\) beliebig ist, erhält man unter der Voraussetzung, dass die Funktionen stetig sind
Setzt man die Terme für \(q(x)\) und \(r(x)\) ein, so erhalten wir die partielle Differentialgleichung zweiter Ordnung
Die möglichen Randbedingungen sind
Dirichlet-Randbedingung
\[T(x) = T_d(x)\quad \forall x\in\Gamma_D,\]Neumann-Randbedingung
\[-k\,\frac{\partial T}{\partial n}(x) = g(x)\quad \forall x\in\Gamma_N,\]Robin-Randbedingung
\[-k\,\frac{\partial T}{\partial n}(x) + \alpha\, T(x) = g(x)\quad \forall x\in\Gamma_R.\]
Remark 8.1
Die hier vorgestellte Bilanzierung lässt sich analog in beliebig dimensionale Räume übertragen und gilt daher identisch auch im \(\mathbb{R}^3\).
8.2. Partielle Differentialgleichungen erster Ordnung#
Im Zusammenhang mit Transportgleichungen treffen wir typischerweise partielle Differentialgleichungen erster Ordnung an. Gegeben sei die Strömung \(b(x)\) und Quelle \(f(x)\). Der Rand \(\Gamma = \partial\Omega\) wird je nach Vorzeichen von \(b\cdot n\) in Einflussrand \(\Gamma_{\text{in}}\) oder Ausflussrand \(\Gamma_{\text{out}}\) unterteilt:
Gesucht ist eine Konzentration \(u(x)\), welche die Gleichung
erfüllt. Die Randbedingung kann nur am Einflussrand \(\Gamma_{\text{in}}\) gestellt werden. Oft ist das gegebene Strömungsfeld divergenzfrei, daher \(\mathop{div} b = 0\). In der Strömungsmechanik bedeutet das, dass die Strömung inkompressibel ist oder Volumen erhaltend.
Wir betrachten die Modellierung wiederum im zweidimensionalen. Die Transportgleichung beschreibt die Ausbreitung einer Konzentration in einem gegebenen Strömungsfeld (z.B. Farbe in einem Fluss, Milch im Kaffee, \(\ldots\)). Die involvierten Grössen sind
Wir wenden wieder die Massenerhaltung in einem beliebigen Kontrollvolumen \(B\) an:
Formal bedeutet das
Nehmen wir an, dass die beteiligten Funktionen glatt sind, so folgt mit dem Satz von Gauss
Da dies für alle Testvolumina \(B\) gilt, erhalten wir punktweise die Gleichung
Mit dem Transportmodell \(j(x) = b(x)\, u(x)\) folgt die Gleichung
Die Konzentration muss als Randbedingung am Einflussrand vorgegeben werden.
Am Ausflussrand ergibt sich die Konzentration aus der Differentialgleichung.
Remark 8.2
Für die numerische Berechnung von Lösungen dieses Types von partiellen Differentialgleichungen bieten sich Finite Volumen Methoden (FVM) an. Die Methoden haben den Vorteil, dass die Massenerhalten per Konstruktion exakt erfüllt wird, was bei gewöhnlichen Finite Element Methoden nicht per se gegeben ist. Neue diskontinuierliche FEM Methoden lösen dieses Problem. In diesem Kurs gehen wir auf die Thematik nicht ein.
8.3. Parabolische partielle Differentialgleichungen#
Sei \(\Omega \subset \mathbb{R}^d\) und \(T > 0\). Der Prototyp einer parabolischen Differentialgleichung ist: Gesucht ist \(u(x,t) : \Omega \times [0,T] \to \mathbb{R}\) so, dass
Eine parabolische Differentialgleichung benötigt für jeden Zeitpunkt \(t>0\) Randbedingungen. Für den Startzeitpunkt \(t=0\) wird eine Anfangsbedingung \(u(x,0)\) benötigt.
Für die Modellierung betrachten wir die instationäre Wärmeleitung. Die Energiebilanz für das Zeitintervall \((t,t+\tau)\) und das Kontrollvolumen \(B\subset \Omega\) ist gegeben durch
Die thermische Energie \(W\) sei proportional zur Temperatur \(T\), daher
Die Energiebilanz lautet damit formal:
Da die Bilanz für alle Zeitintervalle \((t,t+\tau)\) und für alle Kontrollvolumina \(B\subset \Omega\) gilt, gilt unter Annahme glatter Funktionen die Gleichheit punktweise. Wir erhalten die parabolische PDE
8.4. Hyperbolische partielle Differentialgleichungen#
Sei \(\Omega \subset \mathbb{R}^d\) und \(T > 0\). Der Prototyp einer hyperbolischen Differentialgleichung ist die Wellengleichung: Gesucht ist \(u(x,t) : \Omega \times [0,T] \to \mathbb{R}\) so, dass
Eine hyperbolische PDE benötigt für jeden Zeitpunkt \(t>0\) Randbedingungen. Zur Anfangszeit \(t=0\) wird eine Anfangsbedingung für \(u\) und \(\dot{u}\) benötigt.
Betrachten wir die Modellierung wiederum an einem physikalischen Problem, in dem Fall der akustischen Wellenausbreitung (Schallwellen). Dazu sei
Wir stellen die Dichte als \(\rho(x,t) = \rho_0 + \rho_s(x,t)\) mit einer stationären Dichte \(\rho_0\) und einer kleinen Schwankung \(\rho_s\) dar. Analog für den Druck \(p(x,t) = p_0 + p_s(x,t)\).
Für die Beschleunigung der Luftteilchen setzen wir den zum Druckgradienten proportionalen Ansatz:
Wir nehmen an, dass Druckänderungen proportional zu Dichteänderungen sind
\[p_s(x,t) = c^2\,\rho_s(x,t).\]Eine Divergenz der Geschwindigkeit führt zu einer Dichteänderung, dh.
\[\frac{\partial \rho}{\partial t} = -\mathop{div}(\rho\,v).\]Eine positive Divergenz bedeutet Expansion, was namensgebend für die Divergenz ist (lateinisch divergere „auseinanderstreben“) und was in der Realität mit einer Abnahme der Dichte einher geht.
Vernachlässigt man kleine Schwankungen gegenüber dem grossen stationären Wert in der Dichte, so erhalten wir
und
Daher folgt
Bildet man die Divergenz der ersten Gleichung, und die Zeitableitung der zweiten Gleichung, so erhält man
Beide Gleichungen liefern somit
die Wellengleichung für \(p_s\), wobei für die Quelle \(f=0\) gilt. Eine harte, Schall reflektierende Wand kann durch die Randbedingung \(v\cdot n = 0\) modelliert werden.
Siehe auch
Das folgende Beispiel zeigt die Wellengleichung 1d mit unterschiedlichen Randbedingungen.
Abb. 8.1 1d Beispiel Vergleich Neumann / Dirichlet Randbedingungen#